Wer das Bitcoin-Whitepaper kennt, der weiß, dass Satoshi Nakamoto mit seinem bahnbrechenden Werk ein großes Ziel verfolgte: das bestehende Banken- und Währungssystem mit seinen Zentralbanken und dem Dollar-Standard zu ersetzen bzw. obsolet zu machen. Doch abgesehen von der technischen Machbarkeit – ist das wirtschaftlich und ökonomisch möglich bzw. sinnvoll?
Der angesehene Ökonom Dr. Saifedean Ammous zeigt in seinem vielbeachteten Werk „The Bitcoin Standard“ auf, dass Bitcoin herkömmlichen Fiat-Währungen wie dem Dollar überlegen ist – sowohl in wirtschaftlicher, sozialer, gesellschaftlicher, kultureller und politischer Hinsicht.
Wie er zu der Schlussfolgerung kommt und ob das Buch wirklich lesenswert ist, haben wir in unserem Review etwas genauer erläutert.
Zum Buch „The Bitcoin Standard“
Schauen wir uns zunächst ein paar Hintergrundinformationen zu „The Bitcoin Standard“ an.
Der Titel des Buches
Der Name des Titels wagt ein spannendes Gedankenexperiment und scheinbares Paradoxon: bisherige „Standards“ wurden immer zentral durch Regierungen, Zentralbanken oder globale Organisationen bestimmt:
- Etwa der Gold-Standard, der die Deckung des US-Dollars durch Goldreserven vorgab, bis Nixon 1973 dieses System beendete.
- Die globalen Finanzsysteme sind bis heute vom Dollar-Standard geprägt, welcher besagt, dass der US-Dollar als Leitwährung gilt, alle anderen Weltwährungen werden in Relation zum USD-Kurs evaluiert.
Über den Autor
Dr. Saifedean Ammous ist gebürtiger Libanese und aktuell Assistant Professor für Ökonomie an der Adnan Kassar School of Business. Bevor er seine dortige Lehrposition antrat, studierte er an der renommierten London School of Economics (LSE). Seinen PhD in Sustainable Development schloss er an der zur Ivy League zählenden Columbia University in New York ab.
Ammous selbst sieht sich als überzeugter Liberalist und Vertreter der Austrian School of Economics, welche eine regierungskritische, liberale Ansicht vertritt.
Seit Veröffentlichung seines Buches „The Bitcoin Standard: The Decentralized Alternative to Central Banking“, das bereits in 14 Sprachen übersetzt wurde, hat er sich als einer der anerkanntesten Experten rund um gesamtwirtschaftliche Auswirkungen von Bitcoin einen Namen gemacht.
Mehr als 64.500 Abonnenten verfolgen seine Tweets und regelmäßigen Blogbeiträge.
Die Austrian School of Economics
Die Austrian School of Economics („Österreichische Schule“) geht davon aus, dass die subjektiven Entscheidungen des Individuums, einschließlich individuellem Wissen, Zeit, Erwartung und anderen subjektiven Faktoren, alle wirtschaftlichen Phänomene verursachen. Vertreter dieser Schule versuchen, die Wirtschaft zu verstehen, indem sie die sozialen Auswirkungen der individuellen Entscheidungen untersuchen. Dieser Ansatz wird als methodischer Individualismus bezeichnet.
Sie unterscheidet sich von anderen Schulen der Ökonomie, die sich eher auf aggregierte Variablen, Gleichgewichtsanalysen und gesellschaftliche Gruppen als auf Individuen konzentriert haben. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Schule gehören Ludwig von Mises, Carl Menger, Eugen Böhm von Bawerk und Israel Kirzner sowie Friedrich Hayek.
Hintergründe zum Bitcoin
Ammous richtet sein Buch sowohl an Krypto-Einsteiger wie eingefleischte Krypto-Enthusiasten und beschreibt zunächst einmal die Grundlagen von Bitcoin. Das umfasst natürlich auch den technologischen Aspekt, bei der es um die auf Verschlüsselungs-Technologie und der in Form von Blöcken abgespeicherten Transaktionsdaten (= Blockchain) geht.
Der Autor zeigt, welche Vorteile sich daraus für die Nutzer von Bitcoin ergeben:
- Digitale Werte können direkt zwischen Nutzern – Peer-to-Peer – übertragen werden, vollkommen ohne Intervention von Intermediären wie Zentralbanken.
- Bitcoin ist ein öffentliches System, an dem sich jeder Interessant als Nutzer bzw. Miner anschließen und darin partizipieren kann.
Hintergründe zur Inflation
Anschließend widmet sich Ammous ausführlich der wohl brennendsten ökonomischen Frage des 20. und 21. Jahrhunderts:
„Ist Inflation sinnvoll und erforderlich, um ein stabiles Wachstum in einer Volkswirtschaft zu gewährleisten?“
Die meisten Ökonomen und Zentralbanken antworten auf diese Frage mit einem klaren JA, doch spätestens seit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2009 haben viele Menschen die Kompetenz dieser „Experten“ in Frage gestellt.
Bitcoin vertritt einen klar alternativen Ansatz mit einer fixierten Geldmenge von maximal 21 Millionen Bitcoin, die dem inflationsbedingten Wertverlust der Währung vorbeugen sollen.
Die Kernargumente von „The Bitcoin Standard“
Nun betrachten wir, wie der Author „The Bitcoin Standard“ aufgebaut hat und welchen Gedankengang er dabei verfolgt.
Bitcoin im historischen Kontext
Das Buch beginnt mit einer umfangreichen Darstellung des historischen Kontextes, in den auch Bitcoin einzuordnen ist. Denn obwohl sich Bitcoin durch einen innovativen, technologischen Ansatz – Blockchain und Kryptographie – auszeichnet, versucht es ein Problem zu lösen, das so alt wie die Menschheit selbst ist. Es geht um die Frage, wie ein Wert möglichst einfach und rasch zwischen Personen und Nationen ausgetauscht bzw. übertragen werden kann.
Hierfür beleuchtet Ammous bisherige Währungen und Austauschmittel – von den ersten primitiven Formen wie Muscheln und Perlen bis hin zu komplexeren Austauschmitteln wie Metallen und Münzen. Dann folgt eine eindrucksvolle Vertiefung in das aktuelle Finanz- und Währungssystem. Ammous stellt dar, dass:
- unser aktuelles System von Zentralbanken geleitet und gesteuert wird und
- Fiat-Währungen durch Staatsverschuldung und die Ausgabe von Staatsanleihen entstehen.
Die Nachteile dieses zentral verwalteten Systems sind massiv:
- Zentralbanken haben ein Machtmonopol auf die Verwaltung und somit potenzielle Manipulation des Wertes von Währungen, die Staatsverschuldung steigt unaufhaltsam während fortlaufende Inflation die Ersparnisse von Bürgern immer mehr entwerten.
Der Autor macht keinen Hehl daraus, dass er Zentralbanken, staatliche Eingriffe in den Geldmarkt und auf Machterhalt fokussierte Korrespondenzbanken äußerst kritisch sieht. So skizziert er den Bedarf nach einer besseren, dezentralen Lösung welche Bitcoin bereithält.
Bitcoin übertrifft Gold
Die zentrale These von Ammous Werk ist die Bedeutung von hartem, solidem Geld als Grundlage eines stabilen, erfolgreichen Austauschmediums. Auch dieser Gedanke ist von Vertretern der Austrian School of Economics entlehnt. Gold sei staatlichen Währungen überlegen bzw. „härter“, weil es die geringste Wachstumsrate an verfügbaren Vorkommen aller Edelmetalle hat. Jährlich kommen nur 1-2% dazu, während die Geldmenge selbst von stabilen Weltwährungen wie US-Dollar, Euro und Yen um mehr als 5% jährlich wachse.
Auch in Sachen Liquidität kann Bitcoin mit Gold mithalten. Was Bitcoin gegenüber Gold zudem auszeichnet, ist, dass es aufgrund seines digitalen Charakters innerhalb weniger Minuten weltweit endgültig übertragen und verrechnet werden kann. So könnte sich der Bitcoin-Standard langfristig gar gegenüber dem Gold-Standard durchsetzen.
Bitcoin konkurriert nicht mit bestehenden Zahlungssystemen
Doch auch dem heftigen Kritikpunkt an Bitcoins Technologie – der beschränkten Skalierbarkeit (max. 500.000 Transaktionen pro Tag) kann Ammous etwas entgegenhalten. Hier bedient er sich wiederum eines historischen Vergleichs mit der Art und Weise, wie Gold als Standard dienen konnte.
Krypto-Exchanges können Bitcoin-Transaktionen zwischen Nutzern in ihren eigenen Verrechnungsbüchern notieren und abwickeln, Bitcoin-Transaktionen müssen nicht on-chain erfolgen. Eine einzelne Transaktion au der Bitcoin-Blockchain könnte Hunderte oder gar Tausende Transaktionen repräsentieren.
Anstatt dem aktuellen Geldsystem, wo politisch alle Transaktionen aufgrund des USP-Standards letztendlich über die Federal Reserve („Fed“) laufen, könnten viele dezentrale Player die Abwicklung von Bitcoin-Transaktionen verwalten, was einen transparenteren und manipulationssicheren Markt ermöglicht.
Bitcoin wird das Sparverhalten fördern
Eine besonders spannende These vertritt Ammous in Kapitel 5, wo er sich dem Konzept der Zeitpräferenz widmet. Dieses wichtige Element der Austrian School of Economics beschreibt, wie sehr Konsumenten die Zukunft gegenüber der Gegenwart wertschätzen bzw. berücksichtigen. Wichtig wird das natürlich in der Frage: „Geld heute für Konsum ausgeben oder für morgen sparen?“
In den letzten Jahren ist die Sparquote (= der Prozentsatz des Einkommens, dass zum Sparen beiseite gelegt wird) nachweislich immer mehr gesunken. Ammous macht hierfür die Niedrigzinspolitik und laufenden Geldwertverlust von durch Zentralbanken gesteuerten staatlichen Währungen verantwortlich.
Ebenso ist er langfristig von der „harten Währung“ Bitcoin so überzeugt, dass diese dazu führen werde, dass auch Millennials wieder mehr sparen werden. Schließlich ist bei fixierter Geldmenge (21.000.000 BTC) von einem Wertanstieg bei Bitcoin auszugehen.
Bitcoin und die Geldwäsche
Im letzten Kapitel seines Buches verlässt Ammous den engen Themenkreis der Geld- und Währungspolitik und beschäftigt sich etwas näher mit dem allgemeinen Phänomen Bitcoin:
- Er geht auf den nicht seltenen Einwand, demnach Bitcoin von Kriminellen für terroristische Zwecke oder Geldwäsche verwendet werden könnte, sowie die Möglichkeit ein, dass auch Bitcoin nicht „unfehlbar“ ist.
- Darüber hinaus thematisiert er auch die Tausenden von Altcoins, die sich neben dem klaren Anführer Bitcoin ebenfalls am Markt der Kryptowährungen tummeln und bietet eine spannende Analyse, was deren mögliche Erfolgsaussichten betrifft.
- Zum Abschluss diskutiert er noch weitere Vorzüge der Blockchain-Technologie, die weit über die für ihn zentrale Grundlage der Kryptowährung Bitcoin hinausgeht.
Kritikpunkte
Auch wenn Ammous Enthusiasmus und Optimismus zu befürworten sind, seien an dieser Stelle einige Kritikpunkte angemerkt:
1. Da ist zunächst einmal die allgemeine Tatsache, dass Saifedeans Beschreibung von Bitcoin als einer Art globalen Währung zwar dem Gedanken von Satoshi Nakamoto, nicht allerdings unbedingt seiner in den letzten Jahren tatsächlich gezeigten Funktion entspricht. So lässt sich argumentieren, dass Bitcoin nicht wirklich als Währung oder Austauschmittel, sondern eine eigene Asset-Klasse bzw. maximal als kurzfristiger Wertespeicher verwendet wird.
2. Zudem ist die erwähnte Stabilität, die eine fixierte Geldmenge bedeuten könnte, bei Bitcoin definitiv nicht gegeben.
3. Ebenfalls kann Ammous – einem respektierten Wissenschafter und Ökonom – vorgeworfen werden, dass er in seiner Kritik von John Maynard Keynes, der als Vater des aktuellen Finanz- und Währungssystems betrachtet werden kann – nicht immer sachlich und objektiv vorgeht. Ja, motiviert durch seine positive Grundhaltung gegenüber Bitcoin und der Kryptowährungen, so scheint es, muss er Keynes heftig und durchaus grob attackieren und als Person in Frage stellen, um den Leser von seiner Einstellung zu überzeugen, dass die von Keynes ebenfalls befürwortete Bindung der Weltwährungen an den US-Dollar, eine schlechte und suboptimale Lösung ist.
4. Dabei lässt Ammous außer Acht, dass Keynes selbst eine Wunschlösung konzipiert hatte, die er „Bancor“ genannt hat. Bei Bancor sollte es sich um eine unabhängige, globale Währung handeln, die im internationalen Handel als Rechnungseinheit innerhalb eines multilateralen Verrechnungs- und Clearingsystems, fungieren sollte. Dazu kam es allerdings natürlich nicht, die Vereinigten Staaten besiegelten mit dem Bretton Woods-Abkommen 1944, die bis heute andauernde Dominanz des US-Dollars als Weltwährung Nummer 1.
5. Es stellt sich auch die Frage, ob Ammous extrem lange Einführung in die Geschichte des heutigen Währungssystems und seine langwierigen Ausführungen um „harte Währungen“ wie Gold, wirklich erforderlich und zielführend sind.
Fazit
Ammous bietet in seinem Werk eine umfassende und ausführliche Darstellung des wirtschafts—und währungspolitischen Hintergrunds, der zur Entstehung von Bitcoin geführt hat. Eingebettet in einen ökonomischen und historischen Kontext, werden dem Leser die Zusammenhänge von Bitcion und den gängigen ökonomischen Schulen der Austrian School of Economics sowie der Keynesianer erklärt.
Insgesamt spricht sich der Autor in „The Bitcoin Standard“ entschieden für den Bitcoin als dezentralen, digitalen Währungsstandard aus. Ja, womöglich ist Bitcoin gar die „härteste Währung“, die je geschaffen wurde.
- Etwas schade ist, dass sich nur die letzten 3 von 10 Kapiteln im Herzen um das eigentliche Thema drehen: Bitcoin.
- Letztendlich bietet er dem Leser aber einem umfangreichen historischen und wissenschaftlichen Kontext, der zur besseren Einschätzung von Bitcoins Potenzial und möglichen Auswirkungen dient.
Zuletzt aktualisiert am 26. November 2020